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Märzwasser

The Collaborative Literature Framework.

Morgenrot

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…dem Lebendigen Geiſt

Wie blank der Fluſs geworden war… Er ſah das Eis in der Dunkelheit ſchimmern, rein und blaſs, wie ein eiſernes Tuch über dem noch fließenden Waſſer. Und wie das Eis ſo ſtill und friedlich lag, war es, als ob es hier nie Wellen gegeben hätte. Doch er witterte ein anderes Bild im friſchen duft der Briſe. Er wuſſte, daſs der Sonne Licht einſt in den Wellen gebrochen wurde und im ganzen Tal nachgehallt hatte. Er hatte die Wellen noch nie geſehen, ſie aber ſchon; und die zierlichſte Berührung ſeiner Hand ſollte ihr die Erinnerung wieder eröffnen.

Sie lächelte; die Kälte ließ ihre Hände leicht zittern, der Reifgeruch, der im Wind wehte, durchdrang ihren jeden Atemzug, und die friedliche Stille ertönte in ihren Ohren. Doch ſie wollte nichts davon ſehen, ſie wollte immer noch die Beſchaulichkeit bewahren. Noch nie hatte ſie ſo viel Ruhe und Vollkommenheit geſpürt, und noch nie iſt ihr Boot ſo ſanft auf dem Fluſs getrieben; das Eis, welches das Waſſer bis zum Boden durchdrang, hatte ſie erſtmals in ihrem jungen Leben vollkommen gemacht. Endlich konnte ſie ſich zurücklehnen, und einſchlafen, und die Welt vergeſſen, und ſich von der Welt vergeſſen laſſen… Er jedoch hat ſie nicht vergeſſen wollen.

Sie erinnerte ſich an daſ erſte Mal, daſs er ihren Frieden getrübt hatte… Es war kalt geweſen, und es hatte geſchneit: Oben auf den Schloſſgärten war ſie vom Lärm der Menſchen ungeſtört, denn keinem war es bei ſolchem Wetter wert zu ihr zu kommen. Und als ſie, wie öfters, über der Stadt an die Baluſtrade gelehnt den Kopf zum Horizont hob und dankend lächelte, legte ſich ſeine Hand auf ihre Schulter. Er zog ſie ſanft an ſich und ſtreichelte ihre Wange… Es war, als ob er ſie mit ſeiner Nähe reizen, zum Umdrehen verlocken wollte. Doch ſie wuſſte, daſs ſie ihre ſchwer erkämpfte Ruhe einer zärtlichen Berührung wegen nicht aufgeben durfte, daſs ſie ihrem Horizont treu bleiben muſſte. Die liebevolle Berührung, die Tatendrang und Unabwendbarkeit hegte, beunruhigte ihre teilnahmslos freie Seele… Und mit einem Schwung wandte ſie ſich ab und verſchwand in die leere Dunkelheit.

Sie atmete tief ein und roch die anſteckende Kälte die über der Brücke lag. Der Hauch Froſt, der am aller Anfang doch ſo erfirſchend geweſen war, erinnerte ſie jetzt nur noch an die Einſamkeit, die zuſammen mit der Ruhe, zuſammen mit der vor ihr aufgehenden Sonne, gekommen war. Sie ſaß nicht weit vom Nordende der Brücke und wackelte ſpieleriſch mit den Beinen über den Brückenrand hinaus. Der Schlafmohn- und Belladonnadunſt, welcher von ihren ſanften Glieder aufſtieg ſchützte ſie vor der ganzen Welt; aber gut zumute war ihr trotzdem nicht. Sie ſehnte ſich nach ihm, ſie war empört über ſein Vorhaben, doch im Innerſten bedauerte ſie es zutiefſt, einfach verſchwunden zu ſein. Und langſam, wie den Lichtblick ihrer Sehenſucht ergreifend, umfloß ſie der Weinraute- und Sandelholzgeruch ſeiner Fingerſpitzen… Sie wuſſte, wie es um ſie ſtand, und ſie ſchämte ſich. Hier hatte ſie einſt von ihrem Gefolge umrungen geſtanden, ihr Antlitz im friſchen Lorbeerhauch ſtreckend - und nun lag ſie alleine, den kriechenden Geruch der entblätterten Lorbeeren witternd… Sie fand ſich aber damit ab, und hatte das nur dem Engelstropetendunſt ihrer Sonne zu verdanken. Und nun wollte er ſie wohl dazu bringen ihren Frieden beiſeite zu legen. Sein Edelweißatem war dabei doch ſo viel härter, kälter, troſtloſer, matter, unbefleckter, vollkommener… reiner. Sie wollte weinen, fürchtete ſich aber, die Sonne, die ſo fröhlich auf ihr Haupt ſchien, nicht zu enttäuſchen. Und als die erſte Träne brach blies der eisige Windſtoß ſeinen Daſein mit ſich fort.

“Kleines, warum ruderſt du ſtromaufwärts?”
Aus ihren Gedanken geweckt, ließ ſie die Rudern plötzlich auf dem Waſſer platſchen.
“Stromaufwärts? … Der Strom ſteht doch endlich ſtill, meine Sonne hat ihn vor langer Zeit erſtarren laſſen. Und jetzt, jetzt kann ich endlich treiben, wohin ich begehre…” - In der Stille erklang das Wehen ſeiner Haare im langſamen Kopfſchütteln.
“Tateſt du das nicht ſchon immer?”
Sie knackte ihre Glieder. Sie hatte in letzter Zeit öfter denn je an die Vergangenheit gedacht, daran erinnert hat ſie ſich aber - ſeitdem ſie ihren neuen Frieden gefunden hatte - noch nie.
“Ja, das habe ich wohl früher auch… verſucht… aber es war immer ſchwer, gegen den Strom zu rudern”
“Du haſt es aber trotzdem darauf angelegt…”
Sie hörte, wie die kleinſten Viecher, die im Winterſchlaf gefallen waren, um die Kälte zu überdauern, noch nicht herauskrochen, um das Fehlen ihrer Antwort zu hören.
“Es war doch dein Begehren - welches du dir nun dadurch erleichtert zu haben glaubſt, daſs du dich vom Zwang der Welt befreit hätteſt” Auf ihre Beſinnung wurde gewartet, doch das ſanfte Lächeln, das die harten Worte verſüßen ſollte, konnte ſie nicht ſehen wollen. Das Boot traf mit einem lauten Krachen das Ufer kurz vor dem Südende der Brücke. Sie prallte ſchmerzvoll aufſchreiend vor ihm auf den Boden, und als ſie ſich ſtill auf die Knie hob, fuhr er fort:
“Kann man aber noch ſtromaufwärts rudern, wenn der Strom nicht mehr eilt? Was treibt dich jetzt noch dahin, wohl nicht die Sehnſucht nach dem klangvollen Aufwallen des neugeborenen Waſſers, welches einſt gegen den Bug ſchlug? - Wem gilt dein Daſein, wenn nicht dem Schmerz, der dich peinigt?”
Schüchtern neigte ſie ihre Stirn, “…ja”, und zuſammen mit ihrer Antwort brach die ſich ſtraffende Haut ſeines Lächelns die eisige Stille. Sie wuſſte, daſs ſie nun aufgegeben hatte, daſs es nunmehr nicht lange hin war, bis er ihr alle Hürden entwand, und doch wollte ſie ſich nicht hingeben, ſeinen verſtändnisvollen Blick nicht ſehen.
“Fürchte dich nicht, auf die Welt zu ſchauen.”

Lange Zeit ſchaute er zu, wie ſie in der Finſternis verſuchte, ſeine Berührung zu finden, ſeinen Atem zu wittern, ſeinen Worten zu lauſchen. Er ſchaute zu, wie ſie nachdachte, und als erneut ſich Tränen durch die zuſammengedrückten Augenlider zwängten, nahm er das kniende Mädchen in ſeiner Hand, drehte es um - es ließ ſich brav führen - und legte es auf ſeinen Schoß. Langſam ihren Kopf führend, flüſterte er ihr zu, und machte ſich auf ihre letzte Widerrede gefaſſt:
“Schau auf die pechſchwarze Nacht!”
“Über dem ſtrahlend weißen Eis!”
“Über dem blutroten Quälmen… der Jahrhunderte.”
Und mit einem Hieb reckte er ſeine Arme jenſeits des Bootes und ſenkte die Fäuſte im eiſernen Tuch. Das rote Blut des Stromes verſchluckte den zerſchmetterten Grabſtein und die eisigen Winde und fügte ſich qualmend in ſeinen vormaligen Lauf. Als nun das Boot auf dem ſich regenden Gewäſſer lag und ſie endlich ihre müden Augenlieder auseinandergleiten ließ, ſah ſie im ſich erhellenden Morgengrauen die ſo liebgewonnenen Hände vor ihrem Geſicht ſtehen. Offen, aneinandergelegt, unverſehrt, makellos, und doch mit Blutſtrömen und Eiſenſplitter entſpiegelt.

Das Buch der Wirklichkeit ſteht immer offen.

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